Die Welt braucht Bürger – Weltbürger!

global citizenship

Ein Plädoyer für eine andere Form der Globalisierung - Kein Begriff prägt den gesellschaftlichen Diskurs mehr, kein Begriff wird kontroversieller diskutiert und Google findet fast 50 Millionen Einträge dazu: Globalisierung. Eine philosophische Betrachtung.

Bei Globalisierung denken die meisten Menschen an den globalen Markt. Und ebenfalls den meisten bereitet der Begriff ein gewisses Unbehagen, ohne deshalb gleich Globalisierungsgegner zu sein. Nur wenige dagegen wissen, dass der Begriff ursprünglich aus den Sozialwissenschaften kam, lange bevor John Naisbitt ihn in seinem Buch „Megatrends“ 1982 populär gemacht hat. Der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan sprach schon in den 60er Jahren vom Global Village. Während das Globale Dorf heute positiv bewertet wird, wies McLuhan schon damals auf die Gefahren der weltweiten Vernetzung hin. Er warnte vor den Möglichkeiten des Missbrauchs, vor Totalitarismus und Terrorismus. Wie weitsichtig, fast prophetisch.



Auch wenigen ist bewusst, dass Globalisierung kein einmaliges Gegenwartsthema ist, sondern ein Phänomen, das entlang der gesamten Geschichte auftaucht. Immer im Zusammenhang mit Hochkulturen und Imperien: Ägypten, Mesopotamien, China, das Großreich Alexanders, das den Hellenismus einleitete, das Imperium Romanum, die spanische Conquista und generell die Expansion Europas seit dem 16. Jahrhundert, gipfelnd im britischen Commonwealth of Nations. Zu einem ersten weltweiten Globalisierungshöhepunkt kam es im 19. Jahrhundert. Sogar im Kommunistischen Manifest von 1848 ist bei Marx und Engels nachzulesen: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation [Ausbeutung] des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. […] An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen so auch in der geistigen Produktion.“ Und genau hier setzt die Kritik an der heutigen Form der Globalisierung an. Denn sie konzentriert sich einseitig auf die Globalisierung der Märkte, also auf die materielle Produktion. Geistige Erzeugnisse, wie die Menschenrechte, Gerechtigkeit, Demokratie und Ökologie spielen eine untergeordnete Rolle. Und der Einfluss der Bürger schwindet in dem Maße, wie rein wirtschaftlich orientierte Lobbygruppen an Einfluss gewinnen.  Der Publizist Stephan Mögle-Stadel schreibt in seinem Buch „Menschheit an der Schwelle“ 2003: „Wenn wir keine antidemokratische Weltwirtschaftsdiktatur oder die Bush-Regierung als Pseudo-Weltpolizist akzeptieren wollen, dann benötigen wir eine Weltverfassung und ein Weltparlament. Für beides braucht es die Entwicklung einer starken Weltzivilgesellschaft; dies ist die Aufgabe einer weltweiten Bürgerbewegung. Ohne die Initiative von echten Weltbürgern kommt keine Bewegung in diese überlebensnotwendige Angelegenheit.“ Mögle-Stadel ist übrigens auch der Autor der beeindruckenden Biografie über Dag Hammarskjöld, jenem UN-Generalsekretär, der die Blauhelme erfand. Ihm wurde 1956 in der Zeit der Artikel „Kosmopolitiker Hammarskjöld“ gewidmet und 1961 fiel er einem Mordkomplott zum Opfer – weil er den Völkermord in der kongolesischen Uranbergbau-Provinz Katanga stoppen wollte und damit den Multinationalen in die Quere kam.
Wie die Globalisierung war auch die Idee des Weltbürgertums (Global Citizenship) schon in der Antike präsent. Diogenes von Sinope hatte sich erstmals nachweislich Weltbürger genannt, bei den Stoikern wird das Konzept des Weltbürgers zu einem Teil ihrer Ethik: „Alle Menschen sind Brüder, der wahre Stoiker ist demnach Weltbürger.“ Wie ein solches Ideal des Weltbürgers erreicht werden kann, findet sich bei den Humanisten und Aufklärern. Das Zauberwort heißt Erziehung: bei Lessing, bei Herder, bei Kant. Gegenwärtig hat die UNESCO eine Publikation mit dem Titel „Global Citizenship Education. Preparing learners for the challenges of the 21st century“ herausgegeben. Welches Wissen, welche Werte, Einstellungen und Fähigkeiten benötigen Menschen, die eine friedlichere, gerechtere, verbundenere, sicherere und nachhaltigere Welt gestalten wollen?



Globalisierung ist ein unumkehrbarer Prozess. Doch in ihrer derzeitigen Form verschärft sie die Probleme von Klimawandel über Verteilungsungerechtigkeit bis zu religiösem und politischem Fundamentalismus. Weder einzelne Regierungen noch internationale Konferenzen, wie zum Beispiel die Weltklimakonferenzen, werden diese Probleme lösen. Wenn wir der Globalisierung ein anderes Gesicht geben wollen, dann braucht es uns: als Bürger, als Weltbürger. Die Entscheidung gegen ein ängstliches und egoistisches Kirchturmdenken und für ein mutiges und großherziges Weltbürgertum muss jeder Einzelne in seinem Inneren treffen.


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von Mag. Hannes Weinelt

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